Freiwilligendienst in Armutsgebieten in Arequipa - Peru
Interview von
Lena Emmerich, 16 Jahre, Schülerin am Gymnasiums Neckartenzlingen mit
Sarah nach ihrer Rückkehr
Sarah Ament hat 2010, nach ihrem Abitur an dem Robert-Bosch Gymnasium in Langenau, mit Unterstützung von Claim for Dignity, ein freiwilliges soziales Jahr in Peru gemacht, und erzählt von ihrer Motivation, ihren Aufgaben und Erlebnissen.
Warum wolltet du das freiwillige soziale Jahr machen?
Bei mir war es ein längerer Weg, aber ich wusste dass ich auch was Soziales machen wollte, um einen Praxisbezug zu haben, weil wenn man nach der Schule erstmal im Lernern drin ist, ist das sehr theoretisch. Ich wollte ein Jahr noch was anderes machen, und ich hab mich dann bei ganz vielen Organisationen beworben, aber es hat nicht geklappt, und dann war meine letzte Chance das FSJ von der Schule aus. Ja, und dann hat es geklappt!
Es gab Vorbereitungsseminare von der BDKJ. Was habt ihr geler
Es waren insgesamt 25 Seminartage, 15 davor, 5 mittendrin, und 5 danach.
Die Vorbereitung hatte das Ziel, uns auf die Situation einzustimmen, die wir vor Ort vorfinden können. Wir haben ziemlich gut gelernt, selbstständig zu denken, und zu handeln. Wir haben Extremsituationen besprochen, die im Ausland passieren können, wir haben uns aber auch ganz mit uns selbst beschäftigt, was uns jetzt erwartet, warum wir das machen, all die Dinge. Dann haben wir bei einem Seminar kurz vor der Abreise auch ganz viel mit dem Abflug beschäftigt, also wie es ist, jetzt ein Jahr weg von zuhause zu sein, was es bedeutet Abschied zu nehmen, was wir mitnehmen und hierlassen.
Sarah: Ja, wir hatten ein Seminar mit einem interkulturellen Kommunikationstrainer, da ging es um verschiedene Verhaltensweisen, von verschiedenen Kulturen, auch speziell ein Freiwilligendienst, was es da für Phasen gibt, es gibt da zum Beispiel eine Schwarzbrotphase, die jeder wahrscheinlich durchlebt, dass man Deutschland vermisst, und das gute alte Schwarzbrot...
Also, dass gute alte Weihnachten hab ich vermisst...
Wir saßen einmal zusammen auf einer Matratze, in ihrem Zimmer, und haben uns über ganz viele Sachen unterhalten, ganz viele Orte, die wir beide kennen, dass Theater, und die Bücherei, den alten Schulhof.
Auf dem Seminar am Schluss haben wir festgestellt, dass wir alle die gleichen, oder ganz ähnliche Erfahrungen haben, obwohl wir alle in ganz vielen verschiedenen Ländern waren, einer war in Indien, andere in Kenia.
Wie wurdet ihr dort aufgenommen?
Am ersten Tag waren wir zusammen in Judiths Schule und über uns wurde geredet, und wir saßen im gleichen Raum, und das war ganz furchtbar. Dann sind wir zu meiner Schule gefahren, was ganz witzig war, denn es war so typisch peruanisch, die Rektorin war gerade nicht da, weil sie irgendwie gedacht hatte, dass ich schon einen Tag vorher komme. Aber dann wurde ich gleich am ersten Tag in allen Klassenzimmern vorgestellt, und ich wurde vorgestellt als Teil der Familie, und die Rektorin war so was wie die Mama, manchmal musste sie mit ihren Kindern schimpfen, und manchmal durfte sie alle loben.
Was habt ihr dort gemacht? Was waren eure Aufgaben?
Also bei mir waren manche auch schon 14 oder 15, aber zurückgeblieben. An meiner Schule war das Besondere, das geistig und körperlich Behinderte in den Unterricht integriert wurden. Und Englischunterricht hieß bei Null anfangen, also so was wie: „Head and sholders, knees and toes“
Hat es euch Spaß gemacht? Würdet ihr wenn ihr nochmal die Gelegenheit hättet sie wieder ergreifen?
Ich würde es auch jedem, der Interesse daran hat, empfehlen. Und jetzt ist es auch eine krasse Situation, weil wir sind jetzt hier, aber wir leben in zwei Welten, wir haben ein Jahr lang dort gelebt, jetzt denke ich ab und zu auf spanisch.
Meint ihr das wirkt sich auf eure Zukunft aus?
Einfach der Blick auf verschiedene Dinge, auf Kleinigkeiten im Alltag, hat sich verändert, zum Beispiel dusche ich nicht mehr so lange, oder ich würde nie wieder in meinem Leben zum Mc Donald gehen. Ich gehe jetzt auch anders auf Menschen zu, zuerst versuche ich sie zu verstehen, und nicht immer gleich zu sagen: Ja, der ist voll uncool... Ich versuche jetzt mehr mit Leuten ins Gespräch zu kommen, oder offener zu sein.
Was wollt ihr mal beruflich machen?
Also ich studiere Lehramt Spanisch Deutsch. Ich habe gemerkt, dass es das ist, was ich machen muss. Klar, gab es manchmal schwierige Zeiten, aber ich will unterrichten. Gerade ist mein Traum, an eine deutschen Schule im Ausland zu gehen.
Habt ihr noch ein Fazit?
Es ist ein Jahr voller Lachen gewesen, ein Jahr voller Tanzen, voller neue-Leute-Kennenlernen, wir konnten das Land kennenlernen. Es war nicht nur ein Jahr, dass wir im Armenviertel verbracht haben, und Probleme mitbekommen haben, sondern lernt man tolle Menschen kennen, ich habe Salsa tanzen gelernt, wir sind gereist.
Peru hat unglaubliche Landschaften, eine unglaubliche Geschichte, Regenwald und Wüste, und Hochland und Strand und Meer, Tiere und Blumen und nochmal ganz wichtig Musik und Tanzen, und Gemeinschaft.
Das Zahnputzprojekt
An meiner Schule haben wir auch ein Zahnputzprojekt entwickelt, denn ich hatte in meiner Freizeit eine Zahnärztin kennengelernt, die in einer Klinik von einem US-Amerikaner gearbeitet hat, und dann hab ich gefragt ob ich nicht mal meine Schüler vorbeibringen könnte, und sie meinte dann „Ja klar“. Ich konnte zwar jeden Monat 10 Schüler in die Klinik bringen, und die wurden dann da kostenlos behandelt. Aber es war schwer, die 10 Kinder mit den schlimmsten Zähnen auszusuchen. Aber das Projekt bleibt es weiterhin bestehen, denn die neuen Freiwilligen bringen die Kinder weiterhin zum Zahnarzt, und sie putzen jetzt auch in der Schule nach jeder Pause ihre Zähne.
Die Bilderausstellung
Sarah: Es entstand die Idee wir könnten doch eine Ausstellung machen, von den Kindern, um ein Schulfrühstück zu ermöglichen.Weil an der Schule, an der ich war, habe ich Englisch unterrichtet, aber es gab sonst keine Unterstützung, die aber wichtig gewesen wäre, weil es gab sehr viele Kinder, die kein Frühstück bekommen haben. Deswegen konnten sie sich auch schlecht konzentrieren. Und viele haben dann morgens einen Lutscher zum Frühstück gegessen. Denn die Kinder bekommen 10 Céntimos (ca. 3 Cent)in die Hand, und dann sollen sie sich davon was kaufen.
Und deswegen ist dann der Gedanke entstanden, wir können ja eine Ausstellung machen, mit Bildern von den Kindern, und dann dachte ich mir, eigentlich könnten wir ja auch die Geschichten von den Kindern aufschreiben, und ich hab dann mit den Kindern statt Englischunterricht versucht, ihre Geschichten aufzuschreiben. Und für mich war das eine ganz bewegende Zeit, weil ich habe da alles aus einem ganz anderen Blickwinkel gesehen, habe dann mit Müttern Interviews geführt, und da waren ganz wahnsinnige Geschichten dabei.
Das hat sich dann weiterentwickelt, die Kinder haben ganz viele Bilder gemalt. Es war aber auch oft schwer für die Kinder.
Zum Beispiel ein Fall, ein Junge schreibt: Meine Mama, mein Papa und ich sind eine sehr glückliche Familie. Und danach sagt die Lehrerin, dass er dass nicht so schreiben kann, weil es gelogen ist, und dann kam raus, das das Kind gar keine Eltern mehr hatte. Weil die in einem kleine Andendorf gewohnt haben, ziemlich weit weg von der Zivilisation, und die Mutter ist krank geworden und gestorben, und die Kinder haben eine Woche mit der toten Mutter im Haus gelebt, und dachten sie schläft, und der Vater hatte die Familie schon vorher verlassen.
Es war für mich eine sehr bewegende Zeit, und trotzdem ist etwas so Tolles dabei entstanden.
Und die Ausstellung wurde dann in Deutschland super aufgenommen, die Bilder wurden entwickelt und auf große Leinwände geklebt. Und dadurch ist jetzt ein Schulfrühstück für ein Jahr für meine Schüler entstanden und es gibt immer traditionelle Gerichte, also mit viel Getreide, zum Beispiel Milchreis mit Apfel. Weil in Peru ist das Frühstück flüssig, und warm. Also Getreide mit Zimt und Nelke mit Milch oder Wasser aufgekocht.
Damit sie was richtiges zu essen haben, und wissen wie man sich gesund ernährt, weil oft entstehen auch Sehprobleme durch Fehlernährung.
Und es kam auch vor, dass unsere Schüler deswegen nichts lesen konnten, und sich dann direkt vor die Tafel setzen mussten.
Was meine Motivation war: Was du einmal gelernt hast, kann dir nie wieder jemand wegnehmen. Das ist nichts Materielles, denn Bildung behältst du dein Leben lang.
Probleme in Peru
Ja genau, zum Beispiel einer von meinen Schülern, der eigentlich nach der 6. Klasse auf eine weiterführende Schule gehen wollte, war es nicht, weil es geldmäßig nicht möglich war. Und er hatte dann einen typischen Job, er hat bei einem Schuhmacher gelernt. Hatte bei dem Schuhmacher ein Bett, und morgens ist er dann aufgestanden hat dort gearbeitet, und konnte dann abends dort wieder schlafen. Und so geht es vielen.
Und es gibt auch viele Tagelöhner, die dann auf dem Bau arbeiten, oder in der Ernte helfen, dass machen dann auch Frauen, die kein festen Job haben.
Sarah: Was haben wir getan um in Deutschland geboren zu werden? Nichts eigentlich.
Besonderen Geschichten und Erinnerungen
Bei mir war es auch so. Ich habe einmal an einem Tag im Dezember an einem Projekt mitgeholfen: “Construyendo Peru“ heißt das. Das ist eine Kampagne vom Bundesministerium für Arbeit, die arbeitslosen Personen, vor allem Müttern, Arbeit gibt, um wieder in die Arbeit reinzukommen. Zum Beispiel haben die in meiner Schule Steine herumgetragen, um einen Abhang abzutragen. Also alles ohne Bagger und so. Sie nahmen sich Schaufeln, schippten es ab und trugen es auf Säcken nach unten, um den Hang von Schutt und Asche abzutragen.
Und da es einfach aussah, dachte ich mir, das ich ja mitmachen kann, und bin dann mit den Müttern mitgegangen. Was voll witzig war. Zuerst wollten sie gar nicht, dass ich auch was mache, weil ich mich da ja schmutzig machen würde, und ich bin ja blond und weiß, und das geht ja nicht. Aber ich hab dann einfach ganz normal mitgemacht, und dann fanden die es witzig, und haben mir Quechua (die Amtssprache) beigebracht. Und ich habe denen auch was beigebracht, das fanden die total cool. Und dann meinte im letzten Monat die Mutter, der Schwester, die bei uns an der Schule war, ich müsste unbedingt zu denen nach Hause kommen, weil ich sonst ja gar nicht weiß, wo die wohnen, und wenn ich zurückkomme, kann ich sie ja sonst nicht besuchen. Und wir sind gefahren, und gefahren, und die Gegend wurde schon immer ärmer und ärmer. Und dann sind wir einen ganz langen Berg hoch gelaufen, und als wir ankamen, und reingegangen sind, habe ich meine Tasche unter dem Tisch abgestellt, und meine Tasche ist umgefallen, denn sie ist in den Meerschweinchenkäfig reingefallen, denn unter dem Tisch waren ganz viele Meerschweinchen. Die Familie war zu fünft, und hat nur in den zwei kleinen Räumen gelebt, und das war dann schon das ganze Haus. Und sie hatten auch keinen Esstisch, sondern die Mutter saß in ihrem Bett, und ich hab mich dann zu denen auf das Bett gesetzt, und es gab auch keinen Fußboden, es war Erde und Staub und überall sind die Meerschweinchen und Hühner rumgelaufen, und es waren so viele Fliegen in dem Raum, und es hat auch nicht gut gerochen. Sie hatten einen kleinen Gasherd und die Mutter hat gekocht, und wollte unbedingt, dass ich zu denen komme, nur damit ich weiß wo der ihr Haus steht. Und die hatten selber nichts. Und die wussten ja, dass ich als Deutsche besser gestellt bin, aber denen ging es einfach darum mich einzuladen, und das zu teilen.