umwelt und technik
Trinkwasser aus Nebel
von Maike Molling
Etwa 880 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem
Trinkwasser. Der Rückenpanzer eines Wüstenkäfers könnte Abhilfe
schaffen. Forscher nehmen ihn nun zum Vorbild für die
Wassergewinnung in extrem trockenen Gebieten.
Der Weltwasserbericht der Unesco zeichnet in Sachen Trinkwasser ein
düsteres Bild. Durch den Klimawandel, das starke
Bevölkerungswachstum und den daraus stetig zunehmenden Bedarf an
Nahrung und Energie wird das lebenswichtige Nass in vielen Regionen
der Erde zunehmend knapp. Schon jetzt leidet ein Achtel der
Weltbevölkerung unter Trinkwassermangel. Auch für die lokale
Landwirtschaft fehlen vielerorts zunehmend die nötigen
Wasservorräte.
Ein weltweites Problem, dem sich die Ingenieure Thomas Stegmeier und
Jamal Sarsour vom Denkendorfer Institut für Textil- und
Faserforschung (ITV) angenommen haben. In Zusammenarbeit mit
Geowissenschaftlern der Universität Tübingen entwickelten die
Forscher einen dreidimensionalen Nebelfänger, der auch extrem
trockene Gebiete mit Wasser versorgen soll. Als Vorbild für ihre
Erfindung diente den Bionik-Experten ein kleiner Wüsten-Käfer.
Ein
Wüstenkäfer als Vorbild
Der Onymacris unguicularis, auch Nebeltrinker-Käfer genannt, hat
eine einzigartige Strategie entwickelt, um seinem unwirtlichen
Lebensraum Trinkwasser abzutrotzen:
In den Morgenstunden krabbelt das Insekt auf einen Dünenkamm
und stellt sich dort mit seinen Hinterfüßen gegen den aufkommenden
Nebel. Auf seinem hügeligen Rückenpanzer sammeln sich
Wassertröpfchen, die mit der Zeit zu immer größeren Tropfen
verschmelzen, über Furchen im Panzer abgeleitet werden und den Käfer
so mit Wasser versorgen.
Dieses Prinzip machten sich die Forscher des ITV zunutze: Sie
entwickelten ein dreidimensionales Abstandgewirk mit
schlaufenartigen Maschen, das der Struktur des Käferpanzers gleicht.
Auch dieses Abstandsgewirk ist in der Lage, Aerosole aus der Luft zu
sammeln und das so gewonnene Wasser abzuleiten. Dazu wird das
Material an Masten befestigt und eineinhalb Meter über dem Boden
aufgespannt. Das auf der Oberfläche der Polyesterstruktur abperlende
Wasser wird über eine Rinne abgeleitet und in einem Tank gesammelt.
HighTex-Material mit vielen Vorteilen
Die grundlegende Idee, Wasser aus Nebel zu gewinnen, ist nicht neu.
Schon in den 1980er Jahren wurde in Chiles Atacama-Wüste mit
ähnlichen Konstruktionen zur Wassergewinnung experimentiert. Die
Denkendorfer Nebelkollektoren ermöglichen jedoch
in vielerlei Hinsicht
erfolgversprechendere Ergebnisse. Praxistests in der Namib-Wüste und
den Bergregionen Eritreas lassen den Schluss zu, dass mit den
3D-Nebelfängern etwa dreimal so viel Wasser gewonnen werden kann wie
mit ihren zweidimensionalen Vorgängern. In Abhängigkeit vom
jeweiligen Standort könne mit Wasserernten von drei bis 55 Litern
Wasser je Quadratmeter Gewebe und Tag gerechnet werden, so
Stegmeier. Auch
in Sachen Haltbarkeit punktet das neuartige HighTex-Material: Durch
eine spezielle Beschichtung ist es sehr UV-beständig. Die
grobmaschige Struktur sorgt außerdem für eine hohe
Luftdurchlässigkeit, wodurch das innovative Textil Orkanen und
Stürmen sehr viel länger standhalten kann als die bislang
eingesetzten Netze aus Polyethylen.
Alternative zu Grundwasserbohrungen
Ideale Voraussetzungen für den Einsatz der neuartigen Nebelfänger
bieten küstennahe Gebiete mit regelmäßigem Nebelvorkommen. Diese
finden sich nicht nur in Afrika, sondern auch in südamerikanischen
Entwicklungsländern wie Peru, Ecuador und Venezuela, die ebenfalls
mit Wassermangel zu kämpfen haben. Mit Gewinnungskosten von gerade
einmal drei Euro pro Kubikmeter Wasser erscheinen die Kollektoren
aus Baden-Württemberg gerade für solche Entwicklungsländer als echte
Alternative zu ungleich kostenintensiveren Grundwasserbohrungen. Das
Forschungsteam hofft nun auf die serienmäßige Produktion ihres
Nebelfängers. Nur so ließe sich der Stückpreis soweit senken, dass
sich auch betroffene Entwicklungsländer diese Variante der
alternativen Wassergewinnung dauerhaft leisten könnten.
Kleiner
Käfer mit großem Potential - Der Onymacris unguicularis
Innovatives
Textil verbessert die Wassergewinnung
ITV-Nebelfänger in der Wüste Namib
Wüstennahe
Regionen eignen sich für den Einsatz von Nebelfängern
Bildquellen ITV Denkendorf
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